Der Wechsel des SPÖ-Abgeordneten Senol Akkiliç von den Grünen zur SPÖ hat in den letzten 48 Stunden hohe Wellen geschlagen. Ein sichtlich bestürzter David Ellensohn (Klubobmann der Wiener Grünen) sprach gar vom "schwärzesten Tag in der Geschichte des Wiener Landtages".
Die Wiener SPÖ hat tief in die Trickkiste gegriffen um eine Änderung des Wahlrechts zu verhindern. Ob das zur Debatte stehende Modell jetzt wirklich sinnvoller wäre als jenes, das derzeit in Wien seine Anwendung findet, sei an dieser Stelle dahingestellt. Ich bin überzeugter Demokrat und trotzdem aus verschiedenen Gründen Anhänger eines (minderheitenfreundlichen) Mehrheitswahlrechts. Hier gibt es keinen Widerspruch. Alle Systeme haben Vor-und Nachteile und dass die Parteispitze der Wiener SPÖ kein wirkliches Interesse daran hat, das für sie vorteilhafte Wahlsystem zu ändern ist klar.
Im Grunde landeten die Grünen in einer selbstverschuldeten Zwickmühle, genannt "Notariatsakt" und versuchten quasi in letzter Minute einen Befreiungsschlag, der von Bürgermeister Häupl taktisch genial, aber moralisch fragwürdig, abgeschmettert wurde.
Ich will die ganze Geschichte aber jetzt nicht wieder von vorne aufrollen. Viel mehr will ich auf eine Reaktion des Grünen EU-Abgeordneten Michael Reimon (der übrigens hervorragende Arbeit in Brüssel leistet) eingehen.
Dieser hat in seinem Blog-Eintrag mit dem Titel: "Lesson learned" das Vorgehen der Sozialdemokraten unter Langzeitbürgermeister Häupl heftig kritisiert und Parallelen zu seiner Zeit als Abgeordneter im Burgenland gezogen. Wer bekannte Protagonisten der SPÖ- Burgenland näher kennt, wird Reimon sicher beipflichten, dass das es politische Opposition hier alles andere als leicht hat.
Bei all der berechtigten Kritik am Vorgehen der SPÖ in punkto Wahlrecht muss ich Reimon aber in einer Aussage vehement widersprechen.
"Ich war bisher immer für Rot-Grün, skeptisch gegenüber Schwarz-Grün im Bund. Das hat sich geändert. Die ÖVP mag politisch weiter weg stehen, aber Abmachungen mit der SP vertraue ich nicht mehr."
Lieber Abgeordneter Reimon. Die ÖVP ist keine realistische Alternative. Sicher, Ihre persönlichen (schlechten) Erfahrungen haben geprägt, aber das liebäugeln mit der ÖVP hat den Grünen langfristig noch nie etwas gebracht.
Eine Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene ist ein interessanter Gedanke, aber mehr sicher nicht.
Erstens macht die politische Realität in Form einer neuen liberalen Bewegung, genannt NEOS so eine Variante unmöglich und zweitens sehe ich bei fundamentalen Dingen wie Bildungs, Sozial und Steuerpolitik keine großen Schnittmengen zwischen grün und schwarz. Von der grassierenden Korruption in Reihen der ÖVP ganz zu schweigen.
Für mich ist klar: Es gibt vermutlich kein Bundesland wo die Grünen als "Junior Partner" so viel Freiheiten in einer Koalition genießen wie in Wien und das trotz aller Unstimmigkeiten der letzten Zeit. In dieser zeitlich begrenzten Partnerschaft haben die Grünen viele ihrer Ideen umsetzen können. Sei es der Umbau der Mariahilferstrasse oder die Einführung der 365 Euro Jahreskarte. In anderen Bundesländern sieht die Sache ein "klein wenig" anders aus.
Nehmen wir etwa die derzeitige Koalition der Grünen mit der Volkspartei in Oberösterreich. Als gebürtiger Oberösterreicher war es für mich eine freudige Überraschung, dass sich grün und schwarz 2003 auf ein Arbeitsübereinkommen einigen konnten. Nach vielen Jahren in dieser Konstellation hat sich meine Meinung diesbezüglich geändert. In Oberösterreich regiert die Volkspartei de facto allein. Die Grünen sind bei "uns" zu dem mutiert was sie eigentlich nie werden wollten: zu einem Steigbügelhalter der Macht. Bei den Grünen in Tirol sieht die Sache nicht viel anders aus.
Jetzt könnte man natürlich den Einwand bringen, dass man sich als Junior Partner realistische Ziele setzen sollte, aber es geht mir hier in erster Linie darum, dass die rot-grüne Koalition in Wien wahrscheinlich die beste ist, die diese Stadt jemals regiert hat und ich bin überzeugt, dass diese Konstellation auch nach der Wahl im Oktober fortgeführt werden wird.
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