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Verhältnis gegen Mehrheit. Eine Glaubensfrage

Alle Jahre wieder bescheren uns Politologen und Politiker eine Wahlrechtsdiskussion. Mit dem Wechsel des Wiener-Grünen Politikers Senol Akkilic zur SPÖ flammte die Debatte wieder auf. Die Grünen hatten in langwierigen Verhandlungen versucht ein "faires"* Verhältniswahlrecht für die Bundeshauptstadt zu erreichen und sind damit am Widerstand der SPÖ gescheitert. Dass die Wiener Sozialdemokraten ein mehrheitsförderndes Wahlrecht für den Bund vehement ablehnen, schien dabei keine Rolle zu spielen. Von den derzeitigen Parlamentsfraktionen unterstützen nur die NEOS und das Team Stronach eine Reform in Richtung Mehrheit. Die ÖVP ist in dieser Frage gespalten

*Der Vorschlag der Grünen wäre lediglich eine minimale Änderung des derzeitigen Status quo gewesen. Vom Faktor 1 auf 0,6.

Was mich an der Diskussion rund um's Wahlrecht immer ein wenig aufregt, ist die ungerechtfertigte Panikmache vor einem Wahlsystem mit Mehrheitskomponente (Majorz gegen Proporz). Es gibt vor allem außerhalb Europas viele Länder, die auf dieses System setzen und trotzdem nicht undemokratischer sind als beispielsweise Österreich. Wahlen alleine ergeben zwar noch keine Demokratie, aber sie sind der Grundstein für das Fundament des Friedens.

Um ein wenig Licht in diesen Glaubenskrieg zu bringen, versuche ich die Unterschiede zwischen diesen beiden System möglichst einfach auf den Punkt zu bringen.

Traditionelle Unterscheidung von Mehrheits- und Verhältniswahl

In Europa gibt es das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht. Beide Systeme sind über die Jahrhunderte von regionalen und historischen Einflüssen geprägt worden, besitzen also unterschiedliche Erscheinungsbilder. Ob es sich dabei um ein Land mit Einkammeroder Zweikammerparlament handelt, spielt ebenfalls eine Rolle.

Repräsentations- und Verteilungsprinzip



Klingt auf den ersten Blick ein wenig verwirrend, aber um zu verstehen worüber beispielsweise in Wien gestritten wird sind diese Informationen enorm wichtig!

Warum ein Mehrheitswahlrecht?

In Österreich gab es bis zum Aufstieg der Freiheitlichen Partei unter Jörg Haider de facto ein Zweiparteiensystem trotz Verhältniswahlrecht. Ein gutes Beispiel dafür wie sehr politischer Wille und politische Realität aneinander vorbeigehen. Bei derzeit 183 Sitzen im Parlament muss eine Fraktion 92 Sitze erreichen. Das hat in der zweiten Republik nur einmal die ÖVP (1966-1970) sowie dreimal die SPÖ (1971-1983) erreicht. Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute sitzen sechs Parteien im Nationalrat. SPÖ und ÖVP repräsentieren zusammen nur noch die Hälfte des Elektorats und es ist äußerst wahrscheinlich, dass selbst eine Koalition zwischen diesen beiden einstigen Großparteien in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Was sind die derzeitigen Alternativen? Eine höchst instabile Dreiervariante oder eine noch viel instabilere Minderheitenregierung. Genau in solch einer Situation kann das Mehrheitswahlrecht seine volle Stärke ausspielen.

Das derzeitige Verhältniswahlrecht bildet zwar den Wählerwillen klar im Parlament ab, bedingt durch die 4% Sperrklausel der Nationalratswahlordung werden Kleinstparteien jedoch ausgeschlossen. Das Direktmandat (Grundmandat), das es regional stark verankerten Parteien ohne bundesweite 4% dennoch ermöglichen soll in das Hohe Haus einzuziehen, ist in der Realität quasi unmöglich zu erreichen. Es ist noch nie vorgekommen, dass eine Partei, die die 4%-Prozent-Hürde verfehlt hat, stattdessen ein Grundmandat erreicht hätte. Der tatsächliche Wählerwille wird also auch mit dem derzeitigen System nicht wahrheitsgetreu abgebildet.

Vorteile der Mehrheitswahl


1) Ein Mehrheitswahlrecht würde nicht nur langwierige Koalitionsverhandlungen obsolet machen, sondern auch einen klaren Regierungsauftrag erteilen.

2) Die von vielen Politikern geforderte Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts könnte mit so einem System leichter umgesetzt werden.

3) Abgeordnete wären systembedingt ihrem Wahlkreis und ihren Wählern gegenüber stärker verpflichtet.

Nachteile


1) Der größte Nachteil der direkten Mehrheitswahl ist der Verlust der Stimmen, welche nicht für den in der jeweiligen Wahl gewählten Vertreter abgegeben haben ("Papierkorbstimmen").

2) Aufgrund der darauf folgenden Ungültigkeit dieser Stimmen kann auf lange Sicht die Motivation der Wähler bezüglich eines Gangs zur Wahlurne entsprechend sinken. Dies erkennt man im Endeffekt an der sinkenden Wahlbeteiligung.

3) Es ist möglich, das Wahlergebnis durch „geschicktes“ Ziehen der Wahlkreisgrenzen zu beeinflussen („Gerrymandering“)

Es gibt jedoch  kein allgemein gültiges Rezept für ein funktionierendes Wahlsystem. Jedes muss an die Gegebenheiten des jeweiligen Landes angepasst werden. In Österreich wäre es mit der derzeitigen Struktur (Landtag Bundesrat, Nationalrat) unsinnig ein Mehrheitswahlrecht einzuführen. Ohne eine echte Zweite Kammer als Kontrollinstanz und starken Minderheitenrechten für die Opposition läuft man Gefahr, der Regierung einen Blankoscheck für die gesamte Legislaturperiode auszustellen.

Der Autor Stefan Hechl hat im Jahr 2013 für die Plattform Neuwal das Experiment gewagt und die Auswirkungen eines Mehrheitswahlrechts auf Österreich analysiert. Mit interessanten Ergebnissen.

Minderheiten eine Stimme geben

Ein Modell dass ich persönlich sehr interessant finde, ist das des Historikers und Spielpädagogen Richard Seyfried.

Seyfreid bietet auf seinem Blog zahlreiche Rechenbeispiele und Vergleiche des Mehrheits und Verhältniswahlrechts. Er kommt zu dem nicht besonders überraschenden Ergebnis, dass die Einführung eines mehrheitsbildenden Wahlrechts vor allem dann Sinn ergibt, wenn über einen längeren Zeitraum mindestens fünf ideologisch klar unterscheidbare bundesweiteParteien/Fraktionen vertreten sind und dadurch über mehrere Wahlperioden nur eine einzige Zwei-Parteien-Koaliton (Große Koalition) mehrheitsfähig ist.

Sein Entwurf ist mein derzeitiger Favorit unter den verschiedenen Modellen:

Der Großteil der Mandate wird wie bisher nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Allerdings kommt es zu einem "Stechen" zwischen den beiden stimmenstärksten Parteien unter Berücksichtigung der Alternativstimmen.

Der im "Stechen" siegreichen Partei werden alle Erst- und Zweitpräferenzstimmen zusätzlich noch als halbe Wählerstimmen angerechnet.

Dieses System vereinfacht die Regierungsbildung enorm und bietet kleineren Parteien dennoch die Chance Teil einer Regierung zu werden.

Fazit: Österreich braucht ein neues Wahlrecht um auf die neue politische Realität im Land zu reagieren. Geben wir doch auch kleinen Parteien die Chance auf eine Regierungsbeteiligung indem wir gleichzeitig die stimmenstärkste Partei aufwerten. Der Preis wäre eine Win-Win Situation für die Demokratie und somit für uns alle.

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