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Der Alsergrund. Wien im Kleinstformat

Auf einer Fläche von ca. 3km² die von 40.000 Menschen und auch fast so vielen Hunden bevölkert wird, befindet sich der wahrscheinlich kurioseste Bezirk Wiens. Der Alsergrund. 1850 als 9. Wiener Gemeindebezirk gegründet, verbindet der „Neunte“ Großstadtfeeling mit dörflicher Struktur. In wohl keinem anderen Wiener Bezirk ist die soziale Kluft so offenkundig wie hier. Gibt es doch von der gut betuchten Hofratswitwe bis zum syrischen Asylwerber alles was das soziale Spektrum zu bieten hat. Sollen die Hipster doch in Neubau bleiben. Der Genuss-Bobo regiert den Alsergrund.


Das Servitenviertel


Wäre der Alsergrund eine Frau würde sie wohl aussehen wie ein etwas in die Jahre gekommener Hipster. Geld spielt für viele Leute in diesem Bezirk eine eher untergeordnete Rolle wie Daten der Statistik Austria zeigen. 21.112€ betrug hier im Jahr 2011 das mittlere Einkommen. Zum Vergleich: In Rudolfsheim-Fünfhaus waren es gerade mal 17.472 €. Dass vor allem in der Gegend rund um das Servitenviertel das Geld zuhause ist, lässt sich nicht nur an den prächtigen Altbauten erahnen. Vom Aston Martin bis zum Mercedes SLR parkt hier alles was gut und teuer ist. Das Grätzel, dem die Servitenkirche seinen Namen verdankt ist Bobo-Vorzeigeland. Hier kauft man Nahrungsmittel bewusst beim Greissler auf der Porzellangasse ein und am Sonntag spielen die Kinder vor dem Pfarrhof fangen, während sich die Eltern auf ein Gläschen wohlverdienten Prosecco in einem der angrenzenden Nobelschuppen zurückziehen. Kurz: Ein Haufen selbstgerechter Weltverbesserer hinter einer Fassade der Glückseligkeit. Neben ein paar durchaus interessanten Lokalen mit hohem Absturzpotenzial wie dem Luxor und seinem immer bestens gelauntem Kellner (vorsichtig Sarkasmus) gibt es hier noch eine Menge Feinkostläden und Restaurants. Wer eine Presse am Sonntag haben möchte sollte zur Gattung der Frühaufstehern gehören. Aber Vorsichtig! Hier wird von aufmerksamen Anrainern kontrolliert, ob auch wirklich die 2,50 Euro eingeworfen wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es dort zwar irgendwie alles kitschig schön ist, aber manchmal braucht man das einfach.

Was kannst du im Servitenviertel erleben:

Für eine Mahlzeit 25 Euro ausgeben und trotzdem nicht satt werden.
Dich wie in einer Kleinstadt in Niederösterreich fühlen.
Vegan leben und sterben.

Der Soundtrack zum Servitenviertel: TakeFive - Dave Brubeck Quartet


Das Schubertviertel


Der Alsergrund ist für mich der personifizierte Widerspruch urbanen Lebens. Nicht falsch verstehen! Ich lebe gerne hier, aber gelegentlich wünscht man sich aufgrund der zahlreichen Spießbürger hier zurück in einen Bezirk in dem nicht jeder dritte Bewohner Zahnarzt oder Anwalt ist. Ganz anders geht es schon in Gürtelnähe zu. Hier endet der 9. und hier findet man auch wieder „normales“ Volk. Menschen die ums Überleben kämpfen, die andere Probleme haben als die nächste Urlaubsreise zu planen und sich nicht viel aus Äußerlichkeiten machen. Hier, an der Demarkationslinie die Bobotown vom Pöbel trennt habe ich zwei Jahre lang gewohnt. Am Sobieskiplatz im Schubertviertel, der seinen Namen dem polnischen Staatsmann JohannIII. Sobieski verdankt. Am 1 Mai findet hier jährlich ein Maibaumfest statt, das genauso gut im tiefsten Niederösterreich verortet sein könnte. Der einzige Unterschied: In Wien wirkt solch eine Folklore aufgesetzt und ein wenig lächerlich. Am Platz selbst befinden sich eine etwas hochpreisige Vinothek und ein Speiselokal. Das Publikum ist durchmischt. Wer den Schmelztiegel des Neunten sucht wird ihn hier finden.

Die beschauliche Ruhe am großzügig angelegten Platz trügt jedoch. Hinter den Fassaden der Altbauten rumort es gewaltig, denn seit geraumer Zeit begehren besorgte Bildungsbürger gegen eine Drogenberatungsstelle in der benachbarten Schubertgasse auf. Unterstützt von sämtlichen Wiener Oppositionsparteien versuchten zwei Bürgerinitiativen bestehend aus Unternehmern, Hausfrauen und Wutbürgern mit populistischen Kampagnen und kräftiger medialer Unterstützung dieses Zentrum zu verhindern. Erfolg mochte sich aber keiner so recht einstellen und auch die von diversen Biedermännern prophezeiten Drogentoten wurden wohl zur großen Enttäuschung mancher Anrainer bis heute nicht gefunden. Die Stadt Wien und der Bezirk haben mittlerweile ein Dialogforum eingerichtet um die besorgten Monokelträger zu beruhigen. Die NEOS versuchen indes politisches Kapital aus Drogenabhängigen zu schlagen und machten kurzerhand einen Sprecher der Bürgerinitiative zum Spitzenkandidaten für den neunten Bezirk.

Was kannst du im Schubertviertel erleben:

Einem Mob aufgebrachter Anrainer begegnen und hoffen, dass du keinen Joint in der Hand hast.
Dich in den Trachtenzug oder dein Dirndl schmeißen und kurz vergessen, dass du dich mitten in Wien befindest.

Der Soundtrack zum Schubertviertel: Ein ehrenwertes Haus – Udo Jürgens


Die Alserbachstraße


Die Alserbachstraße ist die wohl unattraktivste Straße des gesamten Bezirks, vielleicht sogar der gesamten Innenstadt. Nicht einmal Michael Häupl himself würde sich hier einen Spritzwein gönnen. Die Geschäftslokale entlang der Straße öffnen und schließen so schnell, dass es sich gar nicht auszahlt überhaupt einen Blick darauf zu verschwenden. Ich nenne die Alserbach nur mehr den „Boulevard of Broken Dreams“. Sämtliche Bemühungen des Bezirks hier eine Verbesserung zu erreichen sind kläglich gescheitert. Wie viele Lokalbetreiber diese Straße schon in den Ruin getrieben hat, weiß wohl keiner so genau. Es gibt außer dem Verkehr nur zwei Dinge, die dieser lange Geraden überhaupt eine Existenzberechtigung verleihen: Der Liechtensteinpark, der zumindest etwas Grünraum inmitten dieser Betonwüste bietet und das Blueorange, dessen Personal so nett und zuvorkommend ist, dass man gar nicht glaubt mitten in Wien unterwegs zu sein.

Was kannst du an der Alserbachstraße erleben:

Relativ schnell an Feinstaub zugrunde gehen.
Lokalbesitzern erklären, dass man geschlossen mit zwei und ausweglos ohne scharfes s schreibt schreibt.

Der Soundtrack zur Alserbachstraße: The End- The Doors


Der Franz-Joseph-Bahnhof


Der Franz-Joseph-Bahnhof am Julius-Tandler-Platz bildet den Abschluss unserer Reise. Der 1872 eröffnete Bahnhof ist heute vor allem in ganz Wien wegen seiner nahezu immer geöffneten Billa-Filiale bekannt. Hier tummeln sich Touristen, Obdachlose, Besoffene, Junkies und Sozialarbeiter und vor allem nach 20:00 Uhr Personen, die ganz dringend Alkohol benötigen. Überragt wird der Bahnhof vom Bank Austria Gebäude, einem in Beton und Stahl gegossenem Scheusal dessen Architektenteam hoffentlich nach Fertigstellung das Land verlassen musste. Bis 2016 wird die Bank jedoch ausziehen und was dann mit dem Areal passiert steht in den Sternen.

Was kannst du am Franz-Joseph-Bahnhof erleben:

Dich mit Obdachlosen um einen Doppler streiten.

Um 22:00 besoffen im Billa stehen bis dich die Securitys unsanft hinausbegleiten.
Sehnsüchtig Richtung Donaukanal blicken und hoffen, dass deine Freunde nicht schon zu betrunken sind bevor du zu ihnen stößt.

Der Soundtrack zum Franz-Joseph-Bahnhof: Wir trinken auf Rapid - Alkbottle

Trotz all diesem Shit der in meinem Bezirk abgeht, ist er doch eine Perle. Denn im Herzen sind wir ja alle kleine Bonzen. Wer sich damit arrangieren kann, dass Wohnen teuer ist und über Spießer auch mal nur schmunzelt wird mit einer einzigartigen Atmosphäre belohnt, die man sonst so in Wien nicht finden wird.

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